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Das Ende des Kapitalismus

Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind

Ulrike Hermann

Kiepenheuer & Witsch, 2022

Ulrike Hermann ist eine profunde Kennerin des Kapitalismus und seiner Geschichte. Sie scheint auch eine Bewunderin dieses Systems und und seiner Erfolge zu sein. Deshalb sind ihre Argument, aufgrund derer sie zum Schluss kommt, dass der Kapitalismus nicht zukunftsfähig ist, umso interessanter.

Im Buch wird der Kapitalismus mit dem Wirtschaftssystem, das sich in Europa seit etwa 1700 durchgesetzt hat, gleichgesetzt. Er ist zeitlich deckungsgleich mit der industriell-technischen Revolution, die in England zu Beginn des 18. Jahrhunderts begann (1712 wurde die erste Dampfmaschine von Thomas Newcomen zum Abpumpen von Wasser aus einem Bergwerk entwickelt) und bis heute andauert. Hermann beschreibt kurz die Geschichte dieser Periode und arbeitet die, ihrer Ansicht nach wichtigsten Eigenschaften des Kapitalismus heraus. Dies sind:

  1. Produktion und Konsum bedingen einander gegenseitig. Nach Hermann wurden im 18. Jahrhundert Maschinen gerade in Enggland eingesetzt, weil dort die Löhne und Kosten der Arbeit relativ hoch waren, und der Einsatz und die stetige Verbesserung der Maschinen sich deshalb lohnten. Da es Mangel an Arbeitskraft gab, stiegen die Löhne weiter, was den Konsum förderte und in der Folge die industrielle Produktion weiter anschob. Hermann gibt Beispiele von Ländern und Gegenden, in denen die Lohnkosten niedrig blieben und keine industrielle Entwicklung stattfand. Ihr bestes Beispiel ist der Vergleich der Süd- und Nordstaaten des 19. Jahrhunderts in den USA. Im Süden wurden die Lohnkosten durch die Sklaverei niedrig gehalten und eine industrielle Entwicklung fand kaum statt. Im Norden stiegen die Lohnkosten, ähnlich wie im Vereinigten Königreich, und es fand eine rasante industrielle Entwicklung statt.

  2. Der Kapitalismus ist ein dynamischer Prozess, keine statische Ordnung. Er wird befeuert durch eine wechselseitige Bedingung von steigenden Löhnen, steigendem Konsum und stetiger Innovation und Effizienzsteigerung in der Produktion. Dies ist ein Prozess, der gerade von der Dynamik lebt. Fällt ein Element in dieser Kette aus, bricht der ganze Prozess zusammen, was das Ende des kapitalistischen Systeme wäre.

  3. Weil es ein Prozess ist, lebt es von der Dynamik und man kann es nicht stoppen, ohne es zu zerstören. Es ist mit einer Fahrradfahrt vergleichbar. Wenn das Fahrrad zum Stillstand kommt, fällt es um. Dieses kapitalistische System braucht also Wachstum. Es ist nicht stabil, wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gleich bleibt oder schrumpft. Ein Null-Wachstum hätte nämlich zur Folge, dass keine Investitionen in Produktionssteigerung stattfinden, was zur Verminderung der Anzahl der Arbeitskräfte führen wurde, was in Folge zu einer Verminderung der Kaufkraft führt, und was schließlich zu einer Verminderung der Produktion führt, und so weiter. Ein Null-Wachstum ist also nicht stabil sondern führt zu einem anhaltenden Schrumpfprozess, der sich erst auf deutlich tieferem Niveau wieder stabilisiert.

Dieses Bild des Kapitalismus ist der Hintergrund, vor dem das Buch die Frage stellt, was ist zu tun um die Klimakrise zu meistern und einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zu vermeiden.

Weltweite Energieproduktion aufgeschlüsselt nach
    primären Energiequellen von. (<A
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    ourworldindata</A>).
Weltweite Energieproduktion aufgeschlüsselt nach primären Energiequellen von. ( ourworldindata).

Hermann geht dann der Reihe nach mögliche Antworten durch.

Solaranlagen und Windkraftwerke sind die große Hoffnung, wenn es gelingen soll, die Erderwärmung in erträglichem Rahmen zu begrenzen.

Doch die Sonne scheint nur tagsüber, im Winter steht sie tief und der Wind bläst manchaml mehr, manchmal weniger und manchmal gar nicht. Obwohl sich die Technologie zur Gewinung von Energie von Sonne und Wind in den letzten Jahren dramatisch verbessert hat und die Erzeugerpreise dadurch drastisch gesunken sind, stellt die Variabilität eine grosse Herausforderung dar. Neben der temporalen Variabilität gibt es auch eine geographische. In der Nordsee bläst es viel, in der Sahara scheint die Sonne regelmäßig und in beiden Regionen gibt es viel Platz für Solar- und Windanlagen, während die Voraussetzungen in manch dicht besiedelten, hochindustrialisierten Gebieten Europas wesentlich ungünstiger sind. Daher ist es neben der effizienten und kostengünstigen Produktion genauso wichtig, dass die Energie gespeichert und transportiert werden kann. Während leistungsfähige Stromleitungen über lange Entfernungen zu verlegen teuer und aufwendig ist, gibt es noch keine technologische Lösung für die Speicherung, die kostengünstig in großem Umfang umgesetzt werden könnte. Weder Batterien, noch Wasserstoff noch Pumpspeicher können dies zur Zeit leisten. Zu den Herausforderungen der Kosten und Effizienz kommt die schiere Größenordnung der Aufgabe. Im Jahre 2021 ist der Anteil an von Wind und Sonne an der gesamten Energieproduktion weltweit etwa 4,2%. In 25 Jahren auf einen Anteil von auch nur 70% zu kommen, ist praktisch nicht zu schaffen. Dies gilt weltweit aber auch für Europa oder Länder wie Deutschland. Es wird möglich sein, mit nur Sonne und Wind als primäre Energiequellen auszukommen, aber es wird eher 50-70 Jahre dauern. Das bedeutet, dass das EU Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, kaum realistisch ist. Dies wäre aber notwendig, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, nämlich die Klimaerwärmung auf 1,5-2 Grad C zu beschränken.

Aus diesen zwei Erkenntnissen, nämlich (1) dass unser kapitalistisches System Wachstum braucht um stabil zu bleiben, und (2) dass die dazu nötige Energieerzeugung nicht mit den Pariser Klimazielen kompatibel ist, schließt Hermann, dass die einzige Möglichkeit eine Klimakatastrophe zu vermeiden, eine radikale Abkehr von unserem derzeitigen Wirtschaftssystem notwendig macht. Das neue Wirtschaftsregime müsste eine radikale Schrumpfung unserer Weltwirtschaft erlauben. Für Deutschland schätzt sie, dass eine Schrumpfung auf den Stand der 1970er Jahre ausreichen würde, um es weltweit allen Ländern, die noch unter diesem Niveau liegen, zu erlauben, dasselbe Entwicklungsniveau zu erreichen.

Hermann’s These ist, dass die Klimaveränderung das Ende des kapitalistischen Systems von heute so oder so erzwingen wird, und dass damit unsere Wahl darin besteht, wie geordnet oder chaotisch der Übergang stattfindet. Welche neue Ordnung könnte nun anstelle unseres jetzigen Wirtschaftssystems treten, das eine geordnete Schrumpfung ohne Krieg, Bürgerkrieg und Hungersnöte erlaubt?

Hermann ist in der Geschichte fündig geworden und meint dass die Kriegswirtschaft Großbritanniens 1939-1945 ein Vorbild sein könnte. Großbritannien war vom Krieg überrascht worden, reagierte dann aber entschlossen. Es stellte innerhalb kürzester Zeit seine Wirtschaft um. Der Staat übernahm die Kontrolle darüber, was produziert werden sollte, aber nicht wie. Fabriken verblieben weiterhin privat aber der Staat gab vor, wieviele Kanonen, Patronen, Panzer und Gasmasken hergestellt werden sollten. Er verteilte die knappen Resourcen von Arbeitskräften und Lebensmitteln, was Kriegsmaschinerie beförderte aber von der Bevölkerung gut akzeptiert wurde.

Die Mengen- und Preiskontrollen waren in Großbritannien ungemein
populär. Wie die britische Regierung bereits 1941 feststellen
konnte, war das Rationierungsprogramm "einer der größten Erfolge
an der Heimatfron". Die staatlich verordnete Gleichmacherei erwies
sich als ein Segen: Ausgerechnet im Krieg waren die unteren
Schichten besser versorgt als je zuvor. In Friedenszeiten hatte
ein Drittel der  Briten nicht genug Kalorien erhalten, weitere 20%
waren zuimindest teilweise unterernährt. Nun, mitten im krieg, war
die Bevölkerung so gesund wie nie, wobei die "Fitnesss der Babys
und Schulkinder besonders hervorstach".

Die Rationierungsprogramme waren so beliebt, weil jeder Brite
genau das Gleiche bekam.

(S 240)

Trotz eines radikalen Umbaus der Wirtschaft und Rückgang des Konsums blieb Großbritannien eine Demokratie, die Gesellschaft hielt zusammen und unterstützte diese Maßnahmen.

Der Konsum fiel um ein Drittel - und zwar in kürzester
Zeit. Dieser enorme Rück- und Umbau macht die britische
Kriegswirtschaft zu einem faszinierenden Modell für heute: Der
deutsche Verbrauch muss ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima
gerettet werden soll. Allerdings muss niemand fürchten, dass es
wieder nur Kartoffel, Brot und zwei Kleider pro Jahr geben
könnte. So trist würde es nicht werden. In den vergangenen 80
Jahren ist die deutsche Wirtschaft real um das Zehnfache
gewachsen. Selbst wenn von diesem Wohlstand nur die Hälfte übrig
bliebe, wären wir immer noch so reich wie im Jahr 1978.

(S 241)

Das Beispiel zeigt, dass ein Umbau der Wirtschaft möglich ist, wenn das kapitalistische System durch eine “private Planwirtschaft” ersetzt wird, in der der Staat wichtige Entscheidungen der Ressourcenverteilung trifft, sich die Bürger aber mitgenommen und fair behandelt fühlen.

Das Buch ist gut argumentiert und überzeugt mit seinen Hauptthesen. Mir bleiben zwei große Fragezeichen: (1) Wie rasch kann der Umbau zur Kilmaneutralität tatsächlich geschehen? Ist Hermann zu pesimistisch und könnte es uns nicht doch noch gelingen, mit den Mitteln des “ New Green Deals” die große Katastrophe abzuwenden? (2) Ist die britische Kriegswirtschaft 1939-45 tatsächlich ein brauchbares Modell für uns heute? Zum einen müsste ja nicht nur Deutschland sondern zumindest alle Industrienationen inklusive USA, China, Indien und Brasilien mitmachen. Zum zweiten fokussiert die Klimakrise unsere kommunale Aufmerksamkeit weit weniger gut als ein Angriffskrieg eines Nachbarn. Und zum dritten, müssten wir die “Klimakriegswirtschaft” nicht nur sechs sondern 60 Jahre durchhalten.

Trotzdem ist der Vorschlag faszinierend und stellt eine der ganz wenigen realistisch scheinenden Szenarien dar, wie wir aus dieser selbst verschuldeten Katastrophe wieder herauskommen, und das Schlimmste vermeiden können.

(AJ February 2023)