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Die Kunst der Zukunft

Über den Traum von der kreativen Maschine

Suhrkamp, 2021

Hanno Rauterberg

Hanno Rauterberg geht den Fragen nach, ob Computer Kunst erzeugen können und welchen Zweck Computerkunst für uns Menschen erfüllen könnte. Zur ersten Frage werden eine Reihe von Beispielen genannt, bei denen Computer zur Kunsterzeugung eingesetzt wurden. Die Liste ist sehr lang und die Rolle des Computers reicht von der eines Instruments, wie der Pinsel für den Maler, zum selbständigen Erzeuger neuer Kunstwerke und neuer Kunstformen.

Ich möchte hier zwei Beispiele herausgreifen, weil sie die Möglichkeiten des Computers illustrieren und Anlass geben, die Frage nach dem Wesen von Kunst von Neuem zu stellen.



Bach by Design

Schon im Jahre 1983 hat David Cope von der University of California in Santa Cruz, das Programm EMI (Experiments in Musical Intelligence) geschrieben. EMI kann eine Datenbank mit Musikstücken analysieren, deren gemeinsamen Stil extrahieren und Stücke generieren, die dem Stil entsprechen, aber von den Originalen verschieden sind. EMI wurde auf Stücke von Bach, Beethoven, Chopin, Cope, Joplin, Mozart, Rachmaninov, and Stravinsky angewandt und generiert Musik in dem Stil dieser Komponisten, die auch von Experten nicht unterschieden werden kann. 1998 organisierte D.A. Hofstadter eine Art Turing Test. Der Pianist Winfried Kerner spielte drei Stücke im Stiele Bachs, eines generiert von EMI, eines geschrieben von Steve Larson und eines van Bach selbst. Das Publikum sollte erkennen, welches Stück von wem ist. Es wählte EMI’s Stück als jenes von Bach, und Larson’s Stück als vom Computer erzeugt.

1996 gab Centaur Record das Album Bach by Design
    von EMI/David Cope heraus.
1996 gab Centaur Record das Album Bach by Design von EMI/David Cope heraus.

Die beeindruckende Leistungen EMI’s sind im Internet leicht zu finden. Ein TechCloseup Video zeigt Beispiele von EMI’s Kunst zusammen mit kurzen Interviewausschnitten mit David Cope, und eine spannend zu lesende Zusammenfassung von EMI’s Entstehung wurde vom Computerhistoriker Christ Garcia 2015 geschrieben. David Cope selbst hat 5000 Choräle in Bachstil zur Verfügung gestellt, die frei heruntergeladen werden können, und der Plattenlabel Centaur Records hat 1996 das Album Bach by Design von EMI/David Cope herausgegeben.


Eduardo de Balamy

Das zweite Beispiel ist jüngerer Natur und bedient sich neuester Machine Learning Technik.

Das Künstlerkollektiv “Obvious” bestehend aus Hugo Caselles-Dupre, Pierre Fautrel und Gauthiere Vernier, verwendet ein Generative Adveserial Network (GAN) zum generieren des Bildes. GANs bestehen aus zwei Deep Neural Networks (DNN), dem Generator und dem Diskriminator. Der Generator erzeugt Bilder, die wirklichen Bildern im Stil ähnlich sein sollen, und der Diskriminator versucht zu erkennen, ob es sich bei dem Bild um ein wirkliches Bild oder eines vom Generator erzeugtes handelt. Bei jedem Trainngsdurchalauf werden beide DNNs etwas besser und nach Zigtausenden oder Hundertausenden von Trainingsrunden ist das Generator DNN sehr gut im Erzeugen von Fake Bilderm und der Diskriminator sehr gut im Unterscheiden zwischen echten und Fake Bildern. Als Basis diente ein Datensatz von 15000 Bildern von Museen, verfügbar auf WikiArt. Die vom Generator DNN erzeugten Bilder ähneln richtigen Bildern aus dem Datensatz im Stil sehr. Eines davon, vom Kollektiv Obvious ausgewählt, ist Edmond De Belamy, welches vom Auktionshaus Christie’s 2018 für 432 500 US Dollar versteigert wurde.

Edmond de Belamy vom Künstlerkollektiv Obvious und Artificial
    intelligence Software - <a
    href='https://www.christies.com/img/LotImages/2018/NYR/2018_NYR_16388_0363_000(edmond_de_belamy_from_la_famille_de_belamy).jpg'>Link</a>,
    <a href='https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=73886038'>Public Domain</a>
Edmond de Belamy vom Künstlerkollektiv Obvious und Artificial intelligence Software - Link, Public Domain


In beiden Fällen abstrahiert das Computerprogramm von gegebenen Beispielen von Kunststücken und generiert neue Beispiele im selben Stil. Die Ergebnisse sind in der Tat sehr beeindruckend, aber es stellt sich unmittelbar die Frage, ob der Computer auch Kunstwerke in einem neuen, originellen Stil generieren kann. Daran schließt sich die Frage an, was denn als Kunst akzeptiert wird, und was nicht. Offensichtlich ist die Eigenschaft ein Kunststück zu sein, keine objektive Eigenschaft des Kunstwerkes alleine sondern auch der Betrachterin, die das Werk als Kunstwerk zulassen muss. Ein Computer kann unzählige verschiedene Bilder malen, doch welches davon als Kunstwerk akzeptiert wird, entscheidet der menschliche Betrachter. Dies ist auch bei menschlich erzeugter Kunst nicht anders; gibt es doch Werke, die zwar von der Künstlerin als Kunstwerk gedacht, von manchen Betrachtern aber nicht als solche angesehen werden. Und die Meinungen darüber sind oft nicht einhellig. Auch bei der Künstlerin selbst ist meist die Bewertung ein, wenn nicht sogar der entscheidende Schritt. Sie kann viele mögliche Werke erzeugen, aber welches davon den eigenen Kriterien genügt, ist letztlich entscheidend, wie lange an einem Werk mit welchem Aufwand gearbeitet wird, und welches Werk dann anderen als Kunstwerk vorgestellt wird. Man könnte sagen, Kunstwerke zu erzeugen ist einfach, doch diese zu bewerten ist der schwierige Teil, weil das Kunstwerk beim Betrachter Assoziationen auslösen und Bedeutung entfalten muss. Der EMI Entwickler David Cope antwortet Chris Garcia auf die Frage, ob Computer kreativ seien:

 >> Oh, there’s no question about it. Yes, yes, a million times
 >> yes. Creativity is simple; consciousness, intelligence, those are
 >> hard.

(aus Link)

Die Frage, ob ein Computer ein Werk als Kunstwerk einschätzen kann, scheint mir recht einfach beantwortbar zu sein. Was ich als Individuum, oder eine Gruppe von Menschen, als Kunstwerk akzeptiere, kann ein Computer nicht wissen, ohne ein super-detailliertes Modell von mir oder der Menschengruppe zu haben. Das geht menschlichen Künstlern ja auch nicht anders. Wie gut ihr Kunstwerk ankommt, ist für sie oft nicht vorherzusehen. Doch ist es möglich, abzuschätzen, in wieweit ein Werk als Kunstwerk anerkannt wird, indem Proxy-fragen beantwortet werden. Ich weiß zwar nicht, ob ein gegebenes Bild von dir als Kunst anerkannt wird, doch wenn ich weiß, dass du zehn andere Bilder hoch einschätzt, und dieses neue Bild den zehn anderen ähnlich ist, kann ich mit Zutrauen sagen, dass dir auch dieses gefallen wird. Diesen Umweg über eine Proxy-Frage hat das Diskriminator DNN für das Künstlerkollektiv Obvious gewählt. Bilder, die ähnlich den Kunstwerken aus der Datenbank sind, werden ebenfalls als Kunstwerke anerkannt. Menschliche Künstlerinnen steht noch eine weitere Proxy-Frage zur Verfügung: Halte ich selbst das Werk für ein gutes Kunstwerk? Wenn die Antwort darauf ja ist, und unter der Annahme, dass ich anderen Menschen ähnlich bin, kann ich annehmen, dass das Werk auch von anderen Menschen als Kunstwerk betrachtet wird. Diese Prox-Frage ist Computern bis auf weiteres verwehrt.


Hanno Rauterberg lässt sich auf diese Fragen allerdings nicht sehr weit ein, was ich beim Lesen bedauerlich fand. Doch geht das Buch einigen anderen Fragen nach, wie zum Beispiel inwieweit Computerkunst Menschen bei ihrer Selbstbestimmung helfen kann oder ob Computerkunst uns mit einer heranwachsenden, gottgleichen Superintelligenz versöhnen kann.

(AJ August 2021)