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Gutenberg

Propyläen, 2016

Klaus-Rüdiger Mai

Johannes Gutenberg (auch bekannt als Johanes/Henne Gensfleisch zur Laden zum Gutenberg) wurde ungefähr um 1400 in Mainz oder Eltville (Altaville) in eine Patriziafamilie geboren, studierte vermutlich 2-3 Jahre an der Universität in Erfurt, lebte etwa zwischen 1434 und 1444 in Strassburg und kehrte danach nach Mainz zurück, wo er den Buchdruck entwickelte und kommerzialisierte. 1468 starb er in Mainz. Wir wissen wenig über ihn und sein Leben und die wenigen gesicherten Fakten stammen hauptsächlich aus Gerichtsdokumenten und anderen offiziellen Quellen, die etwa seine Erbschaft und andere finanzielle Verhältnisse dokumentieren. Finanzielle Abmachungen und Verträge stehen auch im Zentrum der Entwicklung des Buchdrucks denn diese war eine langwierige und teure Angelegenheit, behaftet mit großem geschäftlichen Risiko und unsicherem Ausgang.

Gutenberg’s Zeit und Umfeld zeichneten sich durch einen lukrativen und wachsenden Text- und Buchmarkt sowie eine rasche technische und industrielle Entwicklung aus. In diesem Kontext entwickelte Gutenberg, der sowohl technische Fähigkeiten als auch kaufmännisches Interesse vereinte, entweder vor oder nach seiner Rückkehr nach Mainz den Plan, den Buchdruck mit beweglichen Lettern zu entwickeln. Obwohl es eine Reihe von etablierten Technologien wie etwa den Blockdruck oder eine verbreitete Tradition des Entwickelns und Bauens von handwerklichen Werkzeugen und Maschinen gab, musste Gutenberg eine Reihe von technischen Herausforderungen lösen, die grob gesprochen in vier Kategorien fielen (S 192):

> - die kostengünstige Herstellung teurer Letternalphabete,
> - das Zusammenfügen von Lettern zu Seiten, der Satz also,
> - der Druck der Seiten, der es zudem ermöglichen sollte, das
>   Papier oder Pergament zweiseitig zu bedrucken, und,
> - nicht zu vergessen, die Entwicklung für den Druck tauglicher Tinte.

Das erklärte Ziel Gutenberg’s war es, die Qualität handgeschriebener Texte zu erreichen oder zu übertreffen, was einen hohen Anspruch bedeutete. Er wird zum Teil dadurch erklärt, dass es einen Buch- und Textmarkt gab, der sowohl von professionellen Schreibern als auch Gelegenheitsschreibern geprägt war. Die wachsende Schicht aus Handwerkern, Händlern, und Berufsgruppen wie Lehrer, Anwälte, Richter, Ärzte, und Angestellte von Städten, des Staates und der Kirche, schufen einen ständig wachsenden Bedarf an Unterrichtsmaterial, Unterhaltungslektüre, und Texte zur Dokumentation und Kommunikation in Verwaltungen auf allen Ebenen der Gesellschaften. Dadurch gab es einen kompetitiven Markt der hohe Ansprüche an Qualität und Preis erzeugte. So war es beispielsweise üblich, dass Studenten sich Teile von Textbüchern von der Universität ausborgten, und mit einer Kopie bezahlten. Die Studenten konnten so an das notwendige Unterrichtsmaterial zum Lernen gelangen, während die Universität mehr und mehr Kopien der Bücher ansammeln konnte, ohne dafür bezahlen zu müssen. Gewiss nutzten viele Studenten die Gelegenheit, auch eigene Kopien anzufertigen, entweder für den eigenen Gebrauch oder den Verkauf. Da also Bücher aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit und der hohen Nachfrage einen großen Wert darstellten, hatten Käufer auch hohe Erwartungen an die Ästhetik. Schrift und Illustrationen mussten hohen Ansprüchen genügen. Wir wissen, dass Gutenberg mit dem Problem der “tanzenden Zeilen” kämpfte, also dem Phänomen, dass die Lettern in einer Zeile nicht genau ausgerichtet waren, sondern leicht nach oben oder unten abwichen. Selbst kleine Abweichungen im Sub-millimeterbereich erweisen sich beim Lesen als störend und wurden vom damaligen Publikum kaum toleriert, jedenfalls nicht, wenn sie für eine Buch ein kleines Vermögen zahlen sollten. Diese Genauigkeit war aber nur mit hochwertigen Maschinen, Lettern und Tinte, und mit sorgfältigen, erfahrenen Handwerkern zu erreichen.

Wie aufwendig die Investition für den Druck eines Buches war, lässt sich erahnen, wenn man sich vor Augen hält, wie viele Lettern vor dem Druck der ersten Seite hergestellt werden mussten. Für die 42-zeilige Bibel, die Gutenberg’s Hauptwerk darstellte, brauchte er 290 Zeichen. Davon waren 47 Zeichen Großbuchstaben und 243 Kleinbuchstaben und Interpunktionszeichen. Das heißt, er musste 290 Matrizen herstellen um diese 290 Zeichen zu gießen. Für eine Seite wurden etwa 2600 Buchstaben benötigt, und ein Setzer brauchte Buchstaben für drei Seiten, nämlich jene, die er gerade setzte, jene mit der gedruckt wurde und jene, die aus der Presse genommen wurde. Das heißt, jeder Setzer benötigte einen Vorrat von ca. 7800 Typen. Wir wissen nicht genau, wieviele Setzer in Gutenbergs Buchdruckerei beschäftigt waren, aber wenn wir von sechs angestellten Setzern ausgehen, so brauchte es einen Vorrat von 46800 Typen.

Um einen Buchstabentyp herzustellen, wurde ein Stahlstempel mit der positiven Form des Buchstaben graviert, die Patrize. Diese Patrize wurde in ein weicheres Material, meist Kupfer, gepresst, und erzeugte so die Matrize. Diese Matrize stellte die negative Form des Buchstaben dar, mit der dann alle Typen dieses Buchstabens gegossen wurden. Gutenberg verwendete als Typenmaterial eine Blei-Zinn Legierung mit einem Zusatz von Antimon. Das Antimon erhöht die Härte der Typen und hat die wunderbare und seltene Eigenschaft, dass es sich beim Auskühlen ausdehnt. Dadurch erhält die Type scharfe Kanten, die das Schriftbild erheblich verbessern.

Für die 42-zeilige Bibel mussten Gutenberg und sein Team also 290 Stahlstempel gravieren, 290 Matrizen in Kupfer pressen, und damit 46800 Typen gießen, bevor das Drucken des Buches mit sechs Setzern und hoher Produktion beginnen konnte. Diese Arbeit nahm vermutlich ein bis zwei Jahre in Anspruch.

Die meiste Zeit ging aber vermutlich in das notwendige Experimentieren, um die richtige Legierung zu finden, die richtige Tintenmischung aus Lampenruß, Firniss und Eiweiß, den Ablauf des Setzens, Druckens, Trocknens aufeinander abzustimmen, und die Druckerpresse zu bauen. Vieles über Gutenberg’s Prozess und Technik ist unklar und es wird diskutiert, was genau er erfand und was in den Jahrzehnten nach ihm von anderen entwickelt wurde. Wir wissen auch nicht, welche Texte er zuerst gedruckt hatte, auch wenn es eine Reihe von Spekulationen und Vermutungen gibt.

Eine Metalltype (By <a
     href='//commons.wikimedia.org/wiki/User:Threedots'
     title='User:Threedots'>Daniel Ullrich</a>, <a
     href='http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/'
     title='Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0'>CC BY-SA
     3.0</a>, <a
     href='https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4141776'>Link</a>).
Eine Metalltype (By Daniel Ullrich, CC BY-SA 3.0, Link).
Ein Setzkasten (By Willi Heidelbach, <a
     href='https://creativecommons.org/licenses/by/2.5'
     title='Creative Commons Attribution 2.5'>CC BY 2.5</a>, <a
     href='https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=154912'>Link</a>).
Ein Setzkasten (By Willi Heidelbach, CC BY 2.5, Link).

Auch die genaue Zeitabfolge ist unklar, doch ein mögliches Szenario ist, dass er etwa 1444 nach Mainz zurückkehrend mit dem Projekt des Buchdruckes begann, und etwa um 1450 die ersten Texte druckte. 1455 stellte er Kopien seines Hauptwerkes, der 42 zeiligen Bibel, auch B-42 genannt, her. Zwischen 1450 und 1455 wurden in seiner Druckerei wohl eine Reihe von Texten gedruckt, darunter mit großer Wahrscheinlichkeit mehrere Ausgaben von Ars minor, eines Lehrbuches für Lateinische Grammatik von Aelius Donatus. Mit Sicherheit waren darunter auch ein päpstlicher Brief und zwei Ablassbriefe. Ablassbriefe waren ein ideales Ziel für den Buchdruck, da sie eine wichtige Einnahmensquelle für die Kirche darstellten und in großer Zahl vorgedruckt werden konnten, wobei der Priester nur die Namen des zahlenden Gläubigen einzufüllen brauchte. Möglicherweise war der erste Text aber eine Version der Sibyllenweissagung. In der Griechischen Mythologie war Sibylle eine Weissagerin, und es gab viele Variationen des Sibyllenmythos bei den Griechen, den Römern und anderen Mittelmeervölkern bis Persien. Im Mittelalter traten Sibyllenprophezeiungen in christlich-religiösen Varianten auf und im Spätmittelalter zu Gutenberg’s Zeit stellten sie einen begehrten und weitverbreiteten Lesestoff dar. Zufällig tauchte 1894 ein Fragment der Sibyllenprophezeiung, gedruckt mit Gutenbergs Typen, als Einbandversteifung eines alten Rechnungsbuches der Universität Mainz auf. Doch wissen wir weder über die genauen Umstände deren Herstellung noch deren Zweck oder Verbreitung genaueres.

Zum einen gab es also einen fordernden und lukrativen Markt, der einen starken Anreiz für Innovationen zur Text und Buchherstellung bot. Zum anderen gab es auch ein florierendes Handwerk mit vorindustriellen Herstellungsprozessen, die als Inspirationsquelle dienten und wertvolle Technologien für die maschinelle Buchvervielfältigung bereitstellten. Zum Beispiel war Nürnberg für seine metallurgischen Erzeugnisse bekannt: Rüstungsmaterialien, Harnische, Helme, Kanonen, Hieb- und Stichwaffen, Pumpen für das Auspumpen von Bergwerksstollen, Nürnberger Tand: Nadeln, Nägel, Mausefallen, Vogelkäfige, Drähte, etc. Diese wurden in vorindustrieller Manier in ausgefeilten Produktionsprozessen mit Spezielwerkzeug und Maschinen mit großem Erfolg hergestellt und in ganz Europa verkauft.

Ein Pilgerspiegel, den Gutenberg herstellte (<a
     href='https://secondnaturejournal.com/reformation-media-event-full-essay/#'>Source</a>).
Ein Pilgerspiegel, den Gutenberg herstellte (Source).

Zum Beispiel hatte Gutenberg selbst in Straßburg ein maschinelles Stanzverfahren zur Herstellung von Pilgerspiegeln entwickelt. Pilgerspiegel wurden von Pilgern erworben, in der Hoffnung und Erwartung, dass Lichtstrahlen, die von heiligen Relikten auf die Spiegel treffen, die Wunder- und Heilkräfte der Relikte auf diese überträgt. Die Spiegel, was damals soviel wie Bild oder Abbild bedeutete, bildeten daher die Relikte ab. In Aachen gab es viele heilige Relikte und für 1439 war eine große Pilgerfahrt nach Aachen angesetzt, auf der es große Nachfrage nach Pilgerspiegeln geben sollte. Gutenberg investierte große Summen, entwickelte ein Stanzverfahren und stellte Pilgerspiegel in der Hoffnung auf ein einträgliches Geschäft in großer Zahl her. Die Pilgerfahrt wurde aber um ein Jahr verschoben, und es ist unklar ob das Unternehmen einen großen Verlust für Gutenberg bedeutete oder nicht.

Zusammengefasst, gab es also im 15. Jahrhundert in Europa eine große Nachfrage nach Büchern und Texten, und eine solide handwerkliche, vorindustrielle Kompetenzbasis. Zusammen war dies die Grundlage für den Erfolg des talentierten Erfinders und Geschäftsmannes Gutenberg. Die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Typen war keinesfalls offensichtlich sondern erforderte erhebliches Vorstellungsvermögen, Tatkraft, Ausdauer und Kapital. Doch in Europa des 15. Jahrhunderts war die Zeit dafür reif.

Gutenberg war nicht der erste, der die Idee des Buchdrucks in die Tat umsetzte. Der Holzblockdruck wurde mehrmals erfunden. Dabei wird eine ganze Seite in Holz geschnitzt und dann mit Farbe auf Papier, Pergament, Tuch oder anderen Materialien gedruckt. In China wurde die Technik ab dem 8. Jahrhundert in der Tang Dynastie verwendet und war in Ostasien bis ins 19. J́ahrhundert weit verbreitet. In Europa war eigentlich nur im 15. Jahrhundert populär. Bewegliche Typen wurden vermutlich zum ersten Mal in Keramik von Bi Sheng (990–1051) um etwa 1040 im China der Nördlichen Song Dynastie entwickelt. Vom Gelehrten Shen Kuo (1031–1095) wurde dieses Verfahren beschrieben (Wikipedia):

(Von <a
     href='https://en.wikipedia.org/wiki/Movable_type'>Wikipedia</a>
     CC BY-SA 3.0, <a
     href='https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19960694'>Link</a>).
(Von Wikipedia CC BY-SA 3.0, Link).
> When he wished to print, he took an iron frame and set it on the
> iron plate. In this he placed the types, set close
> together. When the frame was full, the whole made one solid
> block of type. He then placed it near the fire to warm it. When
> the paste [at the back] was slightly melted, he took a smooth
> board and pressed it over the surface, so that the block of type
> became as even as a whetstone. 
>
> For each character there were several types, and for certain
> common characters there were twenty or more types each, in order
> to be prepared for the repetition of characters on the same
> page. When the characters were not in use he had them arranged
> with paper labels, one label for each rhyme-group, and kept them
> in wooden cases. 
>
> If one were to print only two or three copies, this method would
> be neither simple nor easy. But for printing hundreds or
> thousands of copies, it was marvelously quick. As a rule he kept
> two forms going. While the impression was being made from the
> one form, the type was being put in place on the other. When the
> printing of the one form was finished, the other was then
> ready. In this way the two forms alternated and the printing was
> done with great rapidity.

Drucken mit beweglichen Typen mit unterschiedlichen Materialien wie Keramik, Holz oder Bronze war in China und in Korea in geringem Umfang bis ins 19. Jahrhundert in Gebrauch. Siehe Wikipedia für eine kurze Beschreibung der Geschichte des Buchdrucks mit beweglichen Typen.

Jedenfalls passten im ausgehenden Mittelalter Europas alle notwendigen Rahmenbedingungen für den Buchdruck und das Buch. Die Anzahl der gedruckten und gelesenen Bücher wuchs in den folgenden Jahrhunderten rasant welche die Reformation, Propagandakriege, die rasche Entwicklung der Wissenschaft, die industrielle Revolution, Nationalismus in großem Stil und vieles mehr ermöglichten.

(AJ April 2021)