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Zwei Stücke

Rotbuch Verlag Berlin, 1978

Dario Fo

Die beiden Stücke des Bandes “Einer für alle, alle für einen! Verzeihung, wer ist hier eigentlich der Boß?” und “Zufälliger Tod eines Anarchisten”, wurden 1970 und 1971 geschrieben und stammen aus einer anderen Zeit. Ihr Thema ist der politische Gegensatz zwischen Arbeiterbewegung und Kapitalismus, zwischen Kommunismus und Faschismus. Ich kann mich noch gut erinnern, als diese Gegensätze in den 1970er und 1980er Jahren die Weltbilder, die Diskurse, die politischen Entscheidungen geprägt hatten. Damals hatten diese Gegensätze den Hintergrund so vieler Gespräche und Gedanken gebildet, dass sie Teil der physikalischen Realität zu bilden schienen. Doch diese beiden Stücke heute lesend scheint mir die damals so handfeste Wirklichkeit ganz unwirklich gewesen zu sein, denn heute sind die überhängenden Themen, die sowohl den Horizont als auch die Feintextur des täglichen Denkens und Handelns bilden, andere: Islamismus versus Sekularismus, Rechtsradikalismus versus Liberalismus, Populismus versus Rationalismus bestimmen die Lager des Denkens und die Grenzziehungen. Doch wenn sich die gefühlte, soziale Wirklichkeit in 40 Jahren so dramatisch änder kann, muss man sich fragen, wie wirklich diese Themen und Gegensätze tatsächlich sind. Ich habe den Verdacht, dass die zugrundeliegende Wirklichkeit weit weniger variabel ist, aber dass die prägenden Diskurse einer Zeit einige Themen besonders scharf Fokussieren, während andere wenig Beachtung finden. Diese im Fokus liegenden Themen dienen dann als Erklärungsmuster für alle Ereignisse, nicht weil sie profunder die Lage erklären würden, sondern weil sie gerade im Fokus und mental omnipräsent sind.

Die beiden Stücke beleuchten historische Ereignisse dargestellt durch das Prisma des Rechts-Links Gegensatzes. “Einer für alle, alle für einen! Verzeihung, wer ist hier eigentlich der Boß?” behandelt die italienische Arbeiterbewegung in der Zeit 1911-22, also die Endphase des italienischen Kolonialismus bis zur Machtergreifung der Faschisten.

“Zufälliger Tod eines Anarchisten” greift den Tod von Pinelli auf, der sich 1970 in einem Mailänder Gefängnis zutrug. Trotz des ernsten und tragischen Stoffes, sind beide Stücke als Komödien konzipiert, und ich kann mir gut vorstellen, dass sie, wenn gut aufgeführt, auf der Bühne sehr witzig sind.

Dario Fo in Gubbio, 1988. (Von
     <a
     href='https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31061837)'>
     Gorupdebesanez - Own work, CC BY-SA 3.0</a>)
Dario Fo in Gubbio, 1988. (Von Gorupdebesanez - Own work, CC BY-SA 3.0)

Dario Fo (1926-2016) war italienischer Theaterautor, Regisseur, Bühnenbildner, Komponist, Erzähler, Satiriker und Schauspieler. Er war zeitweise einer der meistgespielten Autoren weltweit und erhielt zahlreiche Preise, darunter den Nobelpreis für Literatur 1997, der allerdings nicht unumstritten war. Fo war ein politischer Autor und ging auch kurz in die Politik. Er kandidierte 2006 für ein Mitte-links-Bündniss bei der Bürgermeisterwahl in Mailand und verlor mit 23,4 % der Stimmen in den Vorwahlen. Er war ein prominentes und einflussreiches Mitglied von Beppe Grillos MoVimento 5 Stelle. Mit Berlusconi, der eines seiner Stücke zensurieren ließ, war er über viele Jahre im Clinch. Dies bezeichnete er als “Wettstreit zweier Berufskomiker”.

(AJ Mai 2021)