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Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen,

von Volker Weidermann

Kiepenheuer & Witsch, 2. Auflage 2018

Das Buch behandelt in Weidermannstil die Ereignisse in München zwischen November 2018 und Mai 2019. Weidermannstil ist eigentlich Zweigstil und zeichnet sich dadurch aus, das die Handlung subjektiv aus der Sicht der einzelnen Personen und reichhaltig mit Zitaten gespickt, erzählt wird. Die Sprache ist leichtfüßig, manchmal blumig, was bewirkt, dass auch schwere Szenen wie Gemetzel lesbar sind und trotzdem berühren.

Nach der Novemberrevolution übernahm Kurt Eisner die Regierung in München, der dann die Wahlen am 12. Jänner 1919 desaströs verlor und am 21. Feber erschossen wurde. Nach wechselnden Koalitionen und Machtkämpfen wurde am 6. April die Räterepublik ausgerufen mit Ernst Toller als Leiter des Zentralrats. Am 1. Mai nahm diese Episode mit dem Einmarsch der Reichswehr ein blutiges Ende.

Die handelnden Personen des Buches waren mit Kurt Eisner, Ernst Toller, Oskar Maria Graf, Rainer Maria Rilke, Thomas Mann, Gustav Landauer und anderen meist Dichter, Literaten oder Theaterkritiker. Weidermann beschreibt aus der Sicht dieser Idealisten die Wirren dieser Monate, die oftmalige Unvereinbarkeit von Idealen und Wirklichkeit, die Fehleinschätzungen der handelnden Personen und die Radikalisierung der Bewegungen im Laufe der Monate. Die Revolutionen und Umstürze dieser Zeit blieben meist unblutig; erst die Niederschlagung im Mai 1919 brachte Gemetzel, Hinrichtungen und tausende Opfer mit sich.

Wie schon in seinem Buch "Ostende" sieht auch hier Weidermann Dichtern beim Scheitern zu, mit viel Sympathie zwar aber doch schonungslos. Während die Personen in "Ostende" persönlich tragische Schicksale aufgrund der Naziwirren erfahren, so versagen sie in "Träumer" beim Umsetzen ihrer Ideen an der gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Da das Buch sehr spezielle Perspektiven einnimmt, wird der informative Wikipedia Eintrag zur Münchner Räterepublik parallel dazu mit Gewinn studiert. Weidermann's Buch liest sich spannend und leicht, regt zum Nachdenken und zum Vergleich mit heutigen Krisen an. Mit seinen sehr detailreich recherchierten Zitaten führt es auch übergroß vor Augen, wie behaftet in zeitgenössischen Klischees auch die klügsten Köpfe sind, wie sehr ihre Ansichten das Produkt der zur Zeit ventilierten Meinungen sind, und wie zufällig ihre Meinungen und Handlungen oft erscheinen.

(AJ April 2020)