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Die Brücke über die Drina

dtv, 2019

by Ivo Andrić.

Das Buch behandelt in Romanform die Geschichte der Brücke über die Drina in Višegrad von ihrem Baubeginn im Jahre 1571 bis zu ihrer teilweisen Zerstörung im Jahre 1914. Heute liegt Višegrad in der Republik Srbska in Bosnien-Herzegowina nahe an der Grenze zu Serbien. Die Stadt war während der ganzen beschriebenen Zeit Grenzstadt, zwischen Serben und Türken, zwischen Moslems und Christen, und später zwischen Österreich-Ungarn, Serbien und des osmanischen Reiches

Anhand einzelner Personen und Schicksale wird die Entwicklung der Stadt und der Brücke über die Jahrhunderte verfolgt. Da die Charaktere nuanciert und detailreich gezeichnet sind, ergibt sich ein faszinierendes Panorama dieser Grenzregion, von der Eroberung durch das osmanische Reich bis zum Rückzug Österreich-Ungarns.

Die Brücke ist ein phantastisches Bauwerk, dass zwischen 1571-1578 von den Türken gebaut wurde um die Kommunikation in dieser Randregion ihres Reiches zu verbessern. Tatsächlich erwies sie sich für die lokale Bevölkerung genauso wie für weitreisende Händler als deutliche Erleichterung, da der Fluss davor nur umständlich mit einer Fähre überquert werden konnte und je nach Wetter und Jahreszeit oft wochenlang gar nicht befahrbar war.

Von Julian Nyča - <a href='https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2623827'> Eigenes Werk</a>, CC BY-SA 3.0
Von Julian Nyča - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Der beeindruckende Brückenbau, der sieben Jahre lang dauerte, ist auch ein Zeichen der Ambitionen des osmanischen Reiches im 16. Jahrhundert. Das Ergebnis ist eine ästhetisch ansprechende, solide Brücke, die unbeschadet von Hochwasser und anderen harschen Wettersituationen der heissen Sommer und kalten Winter der bosnisch Berglandschaft, jahrhundertelang überdauert hat. Der Leser lebt und leidet mit der Brücke und es schmerzt am Ende des Buches sehr, zu erfahren, dass die Brücke vom abziehenden österreichisch-ungarischen Militär gesprengt wird; glücklicherweise nur drei der 11 Bögen. Sie wurde 1940 wieder rekonstruiert und ist heute UNESCO Weltkulturerbe.

Leitfaden des Romans sind nicht die grossen, historischen Entwicklungen, die erfährt man nur am Rande, sondern die Schicksale einzelner Personen, die sympathisierend, schonungslos aber doch mit Distanz beobachtet werden. Dadurch wird der Roman zur Summe vieler beeindruckender Einzelschicksale, die man in Erinnerung behält. Für mich unvergesslich bleibt die in schmerzlichem Detail geschilderte Pfählung eines Rebells, der gegen den Bau der Brücke war und diesen sabotierte. Der Bau war umstritten, da die halbe Bevölkerung jahrelang zu schwerem Frondienst gezwungen wurde.

Von Stevan Kragujević - Original uploader was <a href='https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30539074'>Gajdario in der Wikipedia</a> auf Serbisch, CC BY-SA 3.0 rs,
Von Stevan Kragujević - Original uploader was Gajdario in der Wikipedia auf Serbisch, CC BY-SA 3.0 rs,

So werden die grossen Umwälzungen, politischer und wirtschaftlicher Natur aus der Perspektive einzelner Betroffener lebensnah dargestellt. Die serbischen Rebellen gegen das osmanische Reich finden hier ebenso Platz wie die “Neutürken”, die zum Osman übergetretene Bosnier bezeichnen. Im 19. Jahrhundert treffen wir Serben, die für ein unabhängiges Serbien eintreten und später dann bosnische Studenten, die in Sarajewo und Graz studieren und die Sommerferien in ihrer Heimat verbringen. Wir erleben auch den Einzug der Technik und der hochentwickelten Verwaltung Österreich-Ungarns, die von den Betroffenen oft mit Skepsis und Unverständniss beobachtet wird. Spannend ist auch das jahrhundertelange Miteindander der zwei, später vier Religionen zu sehen: Islam, orthodoxe Christen, Katholiken und Juden.

Ivo Andrić, geboren 1892 in Bosnien, in Višegrad aufgewachsen und gestorben 1975 in Belgrad, war nicht nur Schriftsteller sondern auch Diplomat und Politiker und hat sich als Diplomat im Dienste des Königreichs Jugoslawien für die Unabhängigkeit und Einigung der südslavischen Völker Serben, Kroaten und Slowenen eingesetzt. Das Buch “Die Brücke über die Drina” besticht aber durch seine unpolitische Abhandlung der Geschichte Višegrad, ohne Beschönigung doch voll Sympathie mit der Višegrader Bevölkerung.

(AJ Juli 2020)