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Crashed - Wie die Finanzkrise die Welt verändert hat,

von Adam Tooze

Pantheon Verlag, 2019 (2018)

Das Buch ist eine Nacherzählung nicht aller, aber vieler der Krisen, die die Welt seit 2007 heimgesucht hat. Da ich diese Krisen alle mehr oder weniger bewusst mitverfolgt hatte, stellt das Buch ein interessantes Wiedererinnern und Neubewerten dar. Manches wird so geschildert, wie ich es auch im Gedächtnis habe, doch anderes hatte ich damals anders eingeschätzt.

Mit über 700 Seiten ist es eine recht detaillierte Nacherzählung; so detailliert, dass ich Mühe habe, die Hauptthese zu identifizieren. Ehrlich gestanden vermute ich, dass ich nicht alle Punkte, die Tooze herausarbeiten wollte, auch tatsächlich als solche identifiziert habe. Doch ein Zentralthema des Buches ist, dass die Finanzkrise 2008/2009 eine Reihe von Langzeitfolgen hat. Diese Schockwirkungen dauern immer noch an und es ist nicht abzusehen, wann die Nachwirkungen abebben. Aus der Subprime Krise entwickelte sich eine Transatlantische Bankenkrise, die in eine Staatschuldenkrise und die Eurokrise mündeten. All dies bewirkte eine Steigerung der Ungleichheiten in den Gesellschaften und das Erstarken extremer politischer Bewegungen am linken und rechten Rang und der dramatischen Vergrößerung der nationalistischen Populisten in Europa und den USA. Es ist tatsächlich plausibel dass es Trump, Brexit und die AFD heute ohne die Finanzkrise 2008 so nicht geben würde.

Das Buch Mitten in der eskalierenden Anfangsphase der Corona Pandemie lesend, überlege ich mir schaudernd, welche Mittel- und Langzeitfolgen der Virus haben wird. Als 2007 die Subprime Woge ihren Anfang nahm, hatte auch niemand vermutet, dass sie Jahre später in den Bankrott Griechenlands mündet und als Folge davon die Eurozone am Rand des Abgrunds manövriert.

Ein Punkt, der mir zu jener Zeit gar nicht bewusst war, ist der transatlantische Charakter der Bankenkrise 2008/2009. Genauso wie die amerikanischen Banken waren alle großen europäischen Banken betroffen und involviert. Auch diese hatten maßlos überdimensionierte Bilanzsummen, die aus der Begierde nach extrem hohen Gewinnen, für Banken und Banker, gewachsen waren. Große Risiken wurden eingegangen um große Gewinne zu erzielen. Isländische und irländische Banken hatten, im Vergleich zu deren Nationalwirtschaften, absurd hohe Bilanzsummen. Aber auch die Bilanzen der britischen, spanischen, französischen, schweitzer, deutschen und österreichischen Banken waren maßlos überdimensioniert und zum Fürchten.

Ein weiterer Interessanter Punkt, der sich daraus ergibt, ist die Beobachtung, dass die US Regierung und die Fed nach anfänglichem Zögern und Zaudern sehr entschlossen und effizient nicht nur den amerikanischen Banken und Firmen halfen, sondern über unbegrenzt zur Verfügung gestellte Dollar Liquidität auch den europäischen und asiatischen Banken das Überleben ermöglichten. In starkem Kontrast dazu haben die europäischen Regierungen und die EZB jahrelang am Abgrund laboriert, ohne die grundlegenden Probleme je grundsätzlich und mit genügend Mitteln anzugehen. Das Ergebnis war, dass sich die US Wirtschaft relativ rasch wieder erholte, während Europa sich fast zehn Jahre lang von einer Krise in die nächste schleppte.

Ein Beispiel für die ideologische Verkrampfung und selektive Blindheit der europäischen Krisenbekämpfung ist der Verlauf der Eurokrise mit Deutschland, Frankreich, EZB, IMF, Griechenland, Spanien, Portugal und Irland als Hauptakteure. Die Politik der Troika (EU, EZB, IMF) zur Euro und Griechenlandkrise nahm an, dass der Multiplikator der Budgekürzungen 0,5 wäre, alse der Faktor mit dem sich 1 Euro Budgetkürzung auf das Bruttonationalprodukt der Volkswirtschaft auswirkt: "Während sie [IMF Mitarbeiter] zu Begin der Krise geglaubt hatten, der Multiplikator betrage im Durchschnitt rund 0,5 Prozent[punkte], gelangten sie jetzt [Sommer 2012] zu dem Schluss, dass er ab 2012 größer als 1 gewesen sei. Dies bedeutete, dass die Kürzung der Staatsausgaben um 1 Euro die Wirtschaftsleistung um mehr als 1 Euro verringern würde." (Seite 499) D.h. das Sparprogramm war kontraproduktiv und verminderte die Fähigkeit Griechenlands dramatisch, die Schulden zu tragen, Diese Fehlannahme war zum Nachteil für beide, Gläubiger und Schuldner. Der von der Troika vorgeschriebene und erzwungen Kurs erwies sich als schädlich. Er wurde trotzdem noch Jahre danach engstirning beibehalten, und bis heute geben Schlüsselpersonen des damaligen Geschehens, wie Schäuble und Merkel, dies nicht zu; und möglicherweise sehen sie diesen Fehler immer noch nicht ein.

Auch wenn Tooze dies so explizit nicht schreibt, ist ein Kernthema des Buches die systematische Fehleinschätzung der Eliten aufgrund einer Mischung aus egoistischem Eigeninteresse und einer ideologisierten Gruppenmeinung, die nicht offen in Frage gestellt werden konnte. Zur Illustration sollen zwei Beispiele dienen:

Im Jahr 2007 war Allen Greenspan gefragt worden, welchen Kandidaten er bei der bevorstehenden Präsidentschaftskandidatur unterstützen würde. Seine Antwort (Seite 662) lautete: 'Es spiele keine Rolle, wem er seine Stimme gebe, erklärte Greenspan, weil "(wir) das Glück haben, dass die politischen Beschlüsse in den USA dank der Globalisierung größtenteils durch die Marktwirkung ersetzt wurden. Mit Ausnahe des Themas der sozialen Sicherheitspolitik spielt es kaum eine Rolle, wer der nächste Präsident wird. Die Welt wird durch Marktkräfte regiert."' Bis zum Jahr 2016 revidierte Greenspan seine Meinung: er warnte, das '"wirtschaftliche und politiche Umfeld" sei bei weitem das schlimmste, mit dem er jemals "auch nur im entferntesten zu tun gehabt hatte." Er war tief besorgt über die Gefahr, dass "Verrückte" Amerika zersetzen könnten.' (Seite 663)

Nach Syriza's Wahlsieg bei einem Eurogruppentreffen im Feber 2015 sagte Schäuble to Varoufakis: 'Varoufakis müsse verstehen, dass man, was die Grundlage der Eurogruppe anlange, es nicht zulassen könne, dass "Wahlen die Wirtschaftspolitik beeinflussen"' (Seite 604). Diese Einstellung, die Deutschland konsistent und unbeirrbar gegenüber Griechenland über Jahre hinweg vertrat, ist aus demokratischer Sicht frevelhaft und, wenn man die Tatsachen in allen demokratischen Ländern, In Deutschland genaus wie überall sonst betrachtet, ein Unsinn. Die Politiker an der Macht beeinflussen klarerweise, immer und überall die Wirtschaftspolitik. Und sie tun es zurecht, denn dafür wurden sie gewählt.

Diese beiden Episoden zeigen, dass die vorherrschende Meinung der vorherrschenden Elite, die sich in den drei Jahrzehnten vor 2008 gebildet hatte, annahm, dass man wüsste wie Volkswirtschaften funktionieren. Volkswirtschaften seien wie physikalische System deren Mechanik man nun verstanden habe. Daher wäre es auch eindeutig, was gerade das Richtige zu tun wäre und abweichende Meinungen könne man ignorieren und überdauern sowieso nicht lange. Doch heute kristallisiert sich immer klarer heraus, dass Wirtschaftspolitik immer eine Abwägung von Interessen verschiedener Gruppen bedeutet, und während der Jahre 1980-2008 wurden die Interessen der Eliten systematisch mehr berücksichtigt als Interessen anderer Gruppen (übrigens auch zwischen 2008-2020!). Diese wurde von eben jenen Eliten damit begründet, dass man eben wisse, wie Wirtschaft funktioniere und was das beste für alle wäre (siehe Schäuble und Greenspan).

Eine interessante Frage ist dabei, inwieweit diese wirtschaftlichen und politischen Eliten zwar gutwillig waren sich aber geirrt hatten, oder in welchem Maße sie die Gesellschaften zu ihrem Nutzen manipuliert hatten. Sicher war, und ist, es eine Mischung aus beiden Faktoren. Bei Personen bei denen der erstere Faktor dominiert, ist es erstaunlich mit welcher Gewissheit und Selbstgefälligkeit an diesem Irrtum festgehalten wurde, auch lange nachdem man es wirklich besser hätte wissen können. Denn zum Bild gehört auch, dass es immer Stimmen, auch von sehr renomierten Wirtschaftswissenschaftlern gegeben hat, die diesem Irrtum nicht erlegen waren. Thomas Piketty hat viele Jahre zum Thema Ungleichheit geforsch und veröffentlicht und sein Bestseller The Capital in the 21st Century ist 2013 erschienen. Trotzdem wurde bei den Maßnahmen zur Eurokrise auch in den Jahren danach die Verminderung der Ungleichheit kein Augenmerk geschenkt und zahlreiche Maßnahmen durchgesetzt, die die Ungleichheit vorhersehbar befeuern. Es gab also immer Ökonomen, die sehr wohl verstanden "that it is unreasonable to expect markets to always deliver outcomes that are just, acceptable or even efficient" (Good Ecomomics for Hard Times by Abhijit V. Banerjee and Esther Duflo, 2019).

Obwohl, oder vielleicht auch weil, das Buch nicht offensichtlich eine Hauptthese ausbreitet und gezielt abarbeitet sondern eher zu eigenen Interpretationen einlädt, liest sich diese detailreiche, flüssig geschrieben Retrospektive der Krisen zwischen 2007 und 2017 mit großem Gewinn. Ich hoffe, wir müssen nicht ähnliche Narrative im Jahr 2030 lesen, wenn wir versuchen die Folgen der Corona Pandemie zu verstehen.

(AJ März 2020)