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Das Schweigen der Mitte

Wege aus der Polarisierungsfalle

wbg Theiss, 2020

von Ulrike Ackermann

Ulrike Ackermann beleuchtet den gegenwärtigen öffentlichen Diskurs, hauptsächlich in Deutschland, aber hin und wieder werden auch andere europäische Länder behandelt. Offensichtlich ist ihre Schrift motiviert durch das Erstarken populistischer Parteien an den politischen Rändern, dem Einbruch der ehemaligen Volksparteien in der politischen Mitte, und der krassen Polarisierung der Gesellschaft. Sehr kundig behandelt sie eine Reihe relevanter Themen. Zunächst argumentiert sie, dass die Bedeutung and Anzahl der öffentlich präsenten Intellektuellen, die eine unabhängige, innovative Stellung jenseits von Klischees und simplen Lagerpositionen formulieren, abgenommen hat. Sie begründet diesen Trend zum einen mit den digitalen und sozialen Medien, die Änderungen der Formen des öffentlichen Diskurses bewirken aber auch die beteiligten Akteure ausgetauscht haben. Zum anderen bewirkt die Demokratisierung der öffentlichen Kommunikation durch soziale Medien eine Verflachung der Argumentation, eine markante Gruppenbildung und schließlich eine unüberbrückbar scheinende Polarisierung der Standpunkte.

Diese Polarisierung führt auch dazu, dass nuancierte und kontroverse Meinungen bei öffentlichen Veranstaltungen oder auf Universitäten zunehmend weniger Raum finden. Ackermann nennt Beispiele, dass etwa an Universitäten immer wieder der Auftritt von kontroversen Personen verhindert wird, weil deren Meinung linken und links-liberalen und oft recht aggressiv agierenden Gruppen nicht passt. So wurde in einem Seminar zur Meinungsfreiheit an der Universität Siegen der Auftritt von Personen wie Thilo Sarzin und Marc Jongen verhindert. Ackermann gibt Linken und Links-liberalen eine klare Mitschuld an dieser Entwicklung, da diese in den letzten Jahrzehnten immer unduldsamer und intoleranter auf abweichende Meinungen reagierten, auch wenn diese mit guten Argumenten kamen. Sie meint wohl auch, dass diese linken und links-liberalen Gruppierungen sich im Laufe der Jahre eine Echokammer geschaffen haben und damit Entwicklungen wie nicht-gelingende Integration von Immigranten in vielen europäischen Großstädten, die Radikalisierung des politischen Islams, Antisemitismus unter islamischen Immigranten, unterschiedliche mentale und Situationsentwicklung von Stadt und Land, und viel andere Strömungen einfach übersehen hatten. Dies führte schließlich zu einer Auseinanderentwicklung einer liberalen, global denkenden, Vielfalt und Veränderung bejahenden Schicht auf der einen Seite und lokal verankerten Menschen, die gerne an gewohnten Verhaltens- und Interaktionsmustern festhalten würden. Als diese “übersehenen” Entwicklungen von Populisten rechter und linker Schattierung aufgegriffen wurden, fanden sie teils massiven Zulauf.

Ulrike Ackermann liefert eine sehr kompetent und im Wesentlichen sicher richtige, wenn auch nicht immer vollständige Bestandsaufnahme der deutschen Gesellschaft, die mit Variationen wohl auch für ganz Europa zutrifft. Sie gibt ein klares Bekenntnis zu ergebnisoffenen, toleranten, und nuancierten Diskussionen und sieht sich offensichtlich in der Tradition der Liberalen des neunzehnten Jahrhunderts. Nicht zufällig ist sie Gründerin und Direktorin des John Stuart Mill Institutes für Freiheitsforschung. Doch darüber hinausgehend wird in dem Buch nicht klar, was getan werden könnte und wo Lösungen gesucht werden sollten. Manche Probleme und Konflikte werden keine einfache Lösung finden, auch wenn darüber offen und konstruktiv diskutiert wird. Zugegeben, dies wäre kein kleiner Fortschritt im Vergleich zu den verfahrenen und polarisierten Lagerbildunge, die wir im Moment erleben. Doch zum Beispiel werden Konflikte die ihren Ursprung in unterschiedlichen Identitäten haben, keine rasche Auflösung finden. Auch für die Migration bietet sich keine einfache Lösung an, da hier legitime Werte inkompatibel scheinen. Einerseits ist das Helfen von notleidenden Mitmenschen ein Grundwert des modernen Humanismus aber auch der christlichen Ethik, zum anderen ist schwer einzusehen, mit welchem legitimen Argument man einer Bevölkerung eine massive Immigration aufzwingen kann, die diese ablehnt, zumal die Möglichkeiten und Kapazitäten auch reicher Länder begrenzt sind.

Trotzdem ist der kompetente Appell des Buches zum offenen, respektvollen Diskurs erfrischend, und es ist nur zu hoffen, dass sich die Einsicht in dessen Notwendigkeit bald auf breiter Front durchsetzen möge.

(AJ September 2020)